Mythbuster: "Es gibt keine Altersarmut in Deutschland" - leider falsch

Es gibt keine Altersarmut in Deutschland!

Altersarmut gibt es nicht, verkündet der Ökonomieprofessor und Politikberater Bernd Raffelhüschen. Die heutige Rentnergeneration ist demnach verglichen mit anderen Bevölkerungsgruppen weniger von Armut betroffen. Arme Rentner*innen sind in der Regel früh erwerbsunfähig geworden oder haben als kleine Selbstständige nicht genug vorgesorgt.

Tatsächlich ist Altersarmut bereits heute ein Massenphänomen und sie wächst kontinuierlich an. Knapp 1,1 Millionen Altersrentner*innen oder Erwerbsminderungsrentner*innen beziehen aktuell Grundsicherungsleistungen und sind damit ganz unstreitig arm. Die Grundsicherung, das ist quasi die Sozialhilfe für über 65-Jährige und Erwerbsgeminderte, sichert wirklich nur das absolute Existenzminimum ab. Das heißt: Über eine Million Rentner*innen bekommen Rentenzahlbeträge,
die unter 832 Euro liegen, sie haben keine weiteren Einkünfte, kein Vermögen über 5.000 Euro und keine Person, die sie unterstützen könnte. Es sind jedoch weitaus mehr als 1,1 Millionen Rentner*innen, die diese Kriterien erfüllen und nachweislich arm sind. Sozialwissenschaftler*innen gehen davon aus, dass rund zwei Drittel der Anspruchsberechtigten die ihnen zustehende Grundsicherungsleistung nicht beantragen. Aus Scham oder weil sie (oft zu Unrecht) befürchten, ihre Angehörigen würden daraufhin zur Kasse gebeten. Daraus folgt: Die Zahl der wirklich armen Rentner*innen beträgt schon heute mindestens
drei Millionen. Sie ist sogar noch höher, denn die Grundsicherungsleistungen stehen längst nicht allen Rentner*innen zu, sollten sie auch noch so arm sein. Wer eine vorgezogene Rente (mit Abschlägen!) bezieht oder eine Erwerbsminderungsrente, die nur auf Zeit bewilligt wurde, kann per Gesetz keine Grundsicherung bekommen und muss Hilfe zum Lebensunterhalt beantragen. In der oft zitierten Statistik der Grundsicherungsbezieher können diese Rentner*innen also gar nicht auftauchen. Wie es wirklich aussieht, kam ans Licht, als der Kölner Statistikprofessor Gerd Bosbach und der rentenpolitische Sprecher der Partei DIE LINKE, Matthias W. Birkwald, beim Landesamt für Statistik Nordrhein-Westfalen eine Sonderauswertung in Auftrag gaben. Knapp 20 Prozent der Rentner*innen sind demnach gemäß den Daten des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts schon heute arm, also jede*r Fünfte.

Wie hoch die Altersarmut in zehn oder 20 Jahren genau sein wird, weiß heute niemand. Doch eine grobe Abschätzung lässt sich anhand der Einkommensstatistik der Bundesagentur für Arbeit durchaus vornehmen. Dort werden die Monatsverdienste aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haarklein
erfasst. Wo liegt die Armutsgefährdungsgrenze? Derzeit kann man davon ausgehen, dass ein Bruttoverdienst von 2.300 Euro monatlich notwendig ist, um nach 40 Arbeitsjahren eine Rente zu erzielen, die die durchschnittliche Grundsicherungsschwelle übertrifft. Andersherum ausgedrückt: Wer weniger als 2.300 Euro brutto monatlich verdient, läuft große Gefahr, später eine Rente zu bekommen, die unter der Grundsicherungsschwelle von derzeit 832 Euro liegt. Ende 2018 traf das auf 39,7 Prozent der Beschäftigten oder auf über 13 Millionen Personen zu. In Ostdeutschland waren es sogar 49,7 Prozent, also nahezu die Hälfte der Beschäftigten. Um eines klarzustellen: Nicht alle, die später eine sehr niedrige Rente beziehen, rutschen automatisch in den Bezug von Grundsicherung. Das hängt von den sonstigen Einkünften und der Einkommens- und Vermögenslage des Haushalts ab, in dem sie dann leben. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet Menschen mit Minirenten über beträchtliche Ersparnisse, hohe Betriebs oder Riester-Renten verfügen werden, nicht hoch. Altersarmut
wird in jedem Fall einen großen Teil der Bevölkerung betreffen, denn der Kreis der Gefährdeten ist noch größer als die oben erwähnten 13 Millionen: Zu den versicherungspflichtig Beschäftigten mit geringen Löhnen kommen jene hinzu, die lange Zeit ausschließlich einem Minijob nachgehen,13 die als Langzeitarbeitslose keine Rentenansprüche erwerben, die als Erkrankte oder Erwerbsminderungsrentner*innen keine Chance mehr haben, ihre Rentenanwartschaften zu verbessern, und die vielen Soloselbstständigen, die in der Regel nicht ausreichend fürs Alter vorsorgen können. Alles in allem sind das über 20 Millionen Menschen, die realistisch Gefahr laufen, im Alter arm zu sein. Insbesondere der Osten Deutschlands wird davon verschärft betroffen sein, denn dort sind die Löhne noch immer deutlich niedriger als im Westen und ab 2025 sollen diese niedrigeren Löhne nicht mehr rechnerisch für die Rente aufgewertet werden.

Dieser Text stammt aus der unten verlinkten Broschüre.

DIE LINKE: Für eine solidarische Rente, die vor Altersarmut schützt!

Wir wollen eine Rente, die den Rentner*innen hilft, statt die Taschen der Versicherungskonzerne zu füllen. Alle – auch Politiker*innen und Beamt*innen – sollten in einen gemeinsamen Rententopf einzahlen. Wir stehen für eine Solidarische Mindestrente von 1.200 Euro – und ordentliche Löhne, denn auch die sind für eine gute Rente nötig.

Dieser Beitrag gehört zur Reihe Myth-Busters.