Was tun!? DIE LINKE in Zeiten des Krieges (20.03.2023)

Gedanken von Volker Külow und Ekkehard Lieberam (Liebknecht-Kreis Sachsen) zum gleichnamigen Kongress von kritischen Linken am 6. Mai in Hannover

 

Erstens: Die Krise der Linkspartei hat sich zugespitzt. Konfrontiert mit der Herausforderung, eine tragfähige Handlungsorientierung für eine Mobilisierung der Friedenskräfte gegen den Ukrainekrieg zu entwickeln, hat die Führungsspitze der Partei versagt.

Die seit längerer Zeit schwelende existentielle Krise der Linkspartei hat damit eine neue Qualität angenommen. Parteivorstand und Bundesausschuss der Partei haben sich gegen die Initiative um das Friedensmanifest von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gestellt. Sie haben beiden die solidarische Unterstützung verweigert und quasi im Gegenzug die Mahnwache der Berliner Parteiorganisation am 24. Februar vor der russischen Botschaft unterstützt, in deren Mittelpunkt die Verurteilung Russlands und die Forderung nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine stand. Parteivorstand und Bundesausschuss der Partei haben es unterlassen, den Ukrainekrieg als das zu charakterisieren, was er mittlerweile seinem politischen Charakter nach vor allem ist: ein „Stellvertreterkrieg“ zwischen der von den USA geführten NATO und der Russischen Föderation. Sie haben zwar auf die Gefahr einer Eskalation des Krieges hingewiesen, aber die Verantwortung von USA und NATO für den Ausbruch des Krieges und für dessen Eskalation nicht thematisiert

Seit dem Erfurter Parteitag 2022 haben die Befürworter von immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine und von Sanktionen gegen die Russische Föderation in der Führung der Linkspartei eine Vetomacht erlangt. Die Parteiführung ist dadurch gelähmt und nicht in der Lage, eine klare linke
Alternative zur Kriegspolitik der Regierenden einzunehmen.

In der Bundestagsfraktion der Linkspartei ist die Situation differenzierter. Einerseits hat sich die Linksfraktion nach der kraftvollen Rede von Sahra Wagenknecht am 8. September 2022 und den sich anschließenden Shitstorm aus der Parteiführung nicht hinter sie gestellt. Andererseits haben eine Reihe von Abgeordneten (außer Sahra Wagenknecht u.a. Amira Mohammed Ali, Sevim Dagdelen, Klaus Ernst, Gregor Gysi, Sören Pellmann) das Friedensmanifest unterschrieben und die Friedenskundgebung in Berlin unterstützt. Die Bundestagsfraktion hat außerdem solche Initiativen zur Enttarnung der Kriegspolitik der Bundesregierung auf den Weg gebracht wie den Antrag für eine Verhandlungsinitiative zum Ukrainekrieg (Drucksache 20/5819), der am 2. März im Bundestag für einen Schlagabtausch mit den Regierungsparteien sorgte.

Nach dem Ende der Linkspartei vor einigen Jahren als systemverändernde sozialistische Partei und als erste Adresse des politischen Protestes gegen die Regierungspolitik zeichnet sich nunmehr ihr Abschied als Friedenspartei ab. Damit stellt sich die Grundsatzfrage: ist dieser Kurs noch zu korrigieren oder, wenn nicht, müssen sich nicht angesichts der Gefahr einer Eskalation des Ukrainekrieges zu einem mit Atomwaffen geführten Weltkrieg die Links- und Friedenskräfte in unserem Lande parteipolitisch neu orientieren?

Zweiten: In den letzten Wochen erfolgte mit dem Friedensmanifest und der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor der erfolgreiche Start einer neuen Friedensbewegung. Von der Parteiführung der Linken fehlt eine verständliche Aussage, was daran inhaltlich falsch ist.

An der Berliner Kundgebung am 25. Februar nahmen 50.000 Menschen teil. Das Manifest ist mittlerweile von mehr als 750.000 Personen unterschrieben worden. Dies geschah trotz der Boykotthaltung der Führung der Linkspartei. Deren Kritik hat sich bisher auf Behauptungen beschränkt, die mit dem Inhalt des Manifests nichts zu tun haben: Das Manifest sei nicht mit ihr abgestimmt worden. Es beinhalte keine klare Abgrenzung nach rechts, es sei „querfronttauglich“. Es werden so Nebelkerzen gezündet, um zu kaschieren, dass die Parteiführung der Linkspartei keine eigene tragfähige Handlungsorientierung zum Ukrainekrieg entwickelt hat und die Positionen von Bundesregierung und CDU/CSU nicht mehr offensiv zu bekämpfen vermag. Eine inhaltliche Debatte um taugliche und untaugliche Forderungen im Kampf um ein Ende des Ukrainekrieges hat
nicht stattgefunden.

Das „Manifest für Frieden“ beinhaltet Eckpunkte, die dem verbreiteten politischen Unbehagen über die akute Weltkriegsgefahr entsprechen, die Eskalationspolitik der Regierenden im Kern treffen und zur Grundlage einer Bewegung für friedenspolitische Gegenmacht in der Bundesrepublik werden können.

Es ist mit seinen Forderungen insofern eine taugliche Friedensinitiative:- Solidarität mit der Ukraine kann nicht bedeuten, „einen ‚Krieg gegen Russland’ (zu) führen.
–   Es ist notwendig, „die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen.“
–   Die Bundesregierung muss „auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstellstand und für Friedensverhandlungen setzen.“
–   Es besteht die Gefahr, dass wir „unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg“ geraten.
–   „Die Ukraine kann … gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.“
–   „Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten.“

Nur auf der Grundlage der Akzeptanz dieser Positionen und Forderungen ist noch eine letzte Chance für die Revitalisierung der Linkspartei als Friedenspartei gegeben.

Nicht zu übersehen ist, dass hier wichtige Ursachen und zentrale Forderungen fehlen: die Provokationen von USA, NATO und Ukraine im Vorfeld des Krieges gegen Russland, der Wahnsinn der Wirtschaftssanktionen und des Wirtschaftskrieges, die Forderung nach einem Ende der im Gefolge des Ukrainekrieges in Gang gekommenen Spirale der Hochrüstung, ein Hinweis auf die verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Gebote der Friedenswahrung, die Unzulässigkeit, das Verteidigungsrecht der Ukraine in ein Recht auf Ruinierung Russlands umzudeuten.
Aber den Unterstützerinnen und Unterstützern des Manifestes bleibt es unbenommen, über die im Manifest getroffenen Einschätzungen hinaus, die geopolitischen Hintergründe dieses Krieges und weitere aktuelle friedenspolitische Probleme zur Sprache zu bringen. Es gehört zur Dynamik einer erfolgreichen Friedensbewegung, dass sie nicht nur größer, sondern auch inhaltlich reicher und hinsichtlich der Benennung der Ursachen der Kriegsgefahr genauer wird.

Drittens: Die Parteiführung nähert sich in der Haltung zum Ukrainekrieg den Positionen der Regierenden. Von dezidiert linken kritischen Ansätzen in der Debatte um den Ukrainekrieg hat sie Abschied genommen.

Der Parteivorstand kritisiert die Forderungen des „Manifests für Frieden“ nicht von links wegen Unzulänglichkeiten, sondern von der Position der Regierenden aus und zum Teil mit deren Argumenten (wie dem Argument, hier werde eine Querfront vorbereitet). Die Initiatoren des Manifests dagegen akzeptieren eine weitergehende Kritik der USA- und NATO-Politik seitens der Unterstützerinnen und Unterstützer des Manifests. Der Parteivorstand tut das nicht. Er drückt sich darum, eine tiefere Analyse der Ursachen des Krieges und seines Charakters vorzunehmen.
Der Parteivorstand lehnt es überdies ab, die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation anzuerkennen und die bellizistischen Forderungen der Ukraine zurückzuweisen. Die Bereitschaft zu „Kompromissen“ auch von der ukrainischen Seite ist weder in der Leipziger Erklärung vom
Dezember 2022 noch in der Erklärung des Vorstandes vom 24. Februar 2023 zu finden. Stattdessen wird verlangt: „Russische Truppen raus aus der Ukraine“ und „gezielte Sanktionen gegen die russische Machtelite und Russlands militärisch-industriellen“ Komplex“ (Erklärung vom 24. Februar 2022). Die Führung der Linkspartei bewegt sich insofern bereits im engen Korridor „erlaubter Meinungen“, den die Regierenden und die Leitmedien als Spielwiese für eine Debatte, die ihre Eskalationspolitik nicht stört, geschaffen haben.

Viertens: Für Verfechter einer Gegenmachtstrategie im Friedenskampf ist es wichtig, die Möglichkeit einer Revitalisierung der Linkspartei als Friedenspartei auszuloten. Sie müssen aber auch prüfen, ob gegebenenfalls eine parteipolitische Alternative unumgänglich ist.

Die linke Parteiopposition um Ralf Krämer, Heinz Hillebrandt, Kathrin Otte und Andreas Grünewald forderten in ihrem auch vom LKS mitgetragenen Aufruf an den Parteivorstand und die Bundestagfraktion „Linke gegen Krieg und Kriegsbeteiligung!“ von Ende Januar 2023: „Die LINKE muss die friedenspolitischen Positionen ihres Erfurter Programms endlich wieder ernst nehmen, sonst gibt sie sich auf und ist nur noch ein Anhängsel des herrschenden Blocks. Mit diesem Friedensprogramm muss DIE LINKE unverzüglich eigene parlamentarische und außerparlamentarische Initiativen starten sowie zu den Ostermärschen und weiteren Aktionen der Friedensbewegung aufrufen und mobilisieren.“ Mehr als 8.200 Mitglieder der Linkspartei und andere Linke haben bisher diesen Aufruf unterstützt.

Die am 21. März stattfindende Aussprache dieses linken Bündnisses mit dem Parteivorstand wird zeigen, ob es noch eine Chance einer Korrektur der Parteipolitik in der Friedensfrage gibt. Für den 6. Mai wird nach Hannover-Misburg zu einem Kongress mit dem Thema „Die Linke in Zeiten des
Krieges“ eingeladen. Eine Mitgliederbefragung und ein Sonderparteitag, wie ihn der Vorstand des Leipziger Stadtverbandes fordert, sind hinsichtlich ihrer Tauglichkeit als Mittel zur Lösung des Konfliktes zu prüfen. Es geht um nichts weniger als um die parteipolitische Unterstützung der sich abzeichnenden neuen Friedensbewegung, nicht zuletzt auch um die Frage, wer deren parlamentarischer Arm im außerparlamentarischen Kampf sein kann. Die rechtspopulistische AfD, die die Forderung nach einem Stopp der Waffenlieferungen in die Ukraine unterstützt, kommt dafür nicht in Frage. Die Linksfraktionen im Bundestag und in neun Landtagen zeigen eine sehr unterschiedliche Bereitschaft, dieser Aufgabe nachzukommen.
Die Geschichte der deutschen linken Parteien zeigt zum einen, dass die Einberufung von Parteigründungskongressen nur dann einen Sinn macht, wenn etablierte linke Parteien politisch versagen und zugleich Hunderttausende auf der Straße eine neue Partei fordern (wie zuletzt angesichts der Krise der PDS und des Aufkommens der WASG unter den Bedingungen der neoliberalen Kapitaloffensive in den Jahren 2005 ff.). Das ist bisher nicht gegeben.

Zum anderen ist aber nicht zu übersehen, dass die Führung der Linkspartei als natürlicher Partner der sich entwickelnde Friedensbewegung versagt (es sei denn, sie korrigiert ihren politischen Kurs). Die in einem Jahr stattfindende Europawahl bietet einer konsequenten Linksallianz sehr wohl die Chance von wahlpolitischen Erfolgen.