Wohin führt die drohende Spaltung?

Liebe Genossinnen und Genossen,

einige Wochen nach Erfurt schien es wieder halbwegs gut zu stehen um unsere Partei. Sinnlose Kontroversen wurden weitgehend vermieden. Eine behutsame politische Konsolidierung zeichnete sich ab. Unsere bundesweiten Umfragewerte stabilisierten sich bei 5 Prozent und darüber. Mit der kontrovers debattierten, letztlich aber als Auftaktveranstaltung erfolgreichen Demo am 5. September in Leipzig (angestoßen von Sören Pellmann) – kam sogar eine gewisse Aufbruchsstimmung in der LINKEN auf.

Diese Hoffnung auf kämpferische Geschlossenheit im „heißen Herbst“ zerschlug sich nun drei Tage nach der Demo. Den Ansätzen für eine rationale Debatte in der Partei um den weiteren politischen Kurs folgte eine irrationale Empörung und dem Aufruf zur Geschlossenheit die Zerreißprobe. Sahra Wagenknecht hatte am 8. September im Bundestag eine aufrüttelnde Rede gehalten und dabei kein Blatt vor den Mund genommen. Sie hatte dabei auch auf Zusammenhänge zwischen dem sozialpolitischen Kampf und die gegen Russland gerichtete Sanktionspolitik angesprochen und darauf verwiesen, dass die Bundesregierung „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten“ führt. Drei Landtagsabgeordnete unserer Partei aus Sachsen und Thüringen – Juliane Nagel, Katharina König-Preuss und Henriette Quade- haben daraufhin prompt das Kriegsbeil ausgegraben. In einem offenen Brief verlangten sie den Ausschluss der prominenten Linken Wagenknecht aus der Bundestagsfraktion. Mit ihrer Argumentation bedienten sie zugleich die bundesdeutsche Staatsräson, insbesondere den unversöhnlichen Sanktionskurs der Ampel-Koalition gegen Russland, wie im „Freitag“ scharfsinnig dargelegt:  https://www.freitag.de/autoren/rotstift70/wagenknecht-heuchelei-der-linken-sanktionsleugner

Der Widerspruch gegen die Petition von Juliane Nagel und Co. im Netz ließ nicht lange auf sich warten. Die „populäre Linke“ arrangierte eine Unterschriftensammlung für diejenigen, die die Rede von Sahra Wagenknecht als „gut“ ansehen. Sie erhielt fast dreimal so viele Unterschriften (Stand 13. September 2022, 14.00 Uhr) wie die drei Landtagsabgeordneten für ihren „Offenen Brief“, was die parteiinternen Kräfteverhältnisse zumindest an der Basis der Partei halbwegs real widerspiegeln dürfte. Das grundlegende Dilemma der Partei, der tiefe inhaltliche Riss und das drohende Auseinanderfallen zumindest der Bundestagsfraktion, kann damit aber nicht kaschiert oder gar behoben werden. Die aktuelle Lage ist dramatisch.

Ohne eine Rückkehr zu einer sachbezogenen Debatte über die derzeitige politische Situation und über unseren weiteren politischen Kurs droht der Partei eine Spaltung. Es ist unhaltbar, dass eine Genossin, die im Bundestag eine Lanze für die politische Vernunft bricht, dafür als „Querulantin“ diffamiert wird. Weder der Brückenschlag zu den Regierenden ist angesagt, noch ein bloßes „Links-blinken“. Notwendig sind eine sachliche Analyse der derzeitigen komplizierten politischen Situation und eine wirkliche linke Mobilisierung gegen Kriegshysterie, Wirtschaftskrieg und drohende Massenarmut.

Ekkehard Lieberam, Volker Külow, G. Dietmar Rode