Wahlprüfstein Landtagswahl 2019: Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.

1.Psychiatrische Menschenrechtsverletzungen

Erkennt ihre Partei an, dass es sich bei psychiatrischen Gewaltmaßnahmen (zwangsweises Fesseln am ganzen Körper („Fixierungen“), (isoliertes) Einsperren, Zwangsbehandlungen durch Medikamente oder Elektroschocks, Zwangsernährung) um Menschenrechtsverletzungen im Sinne der UN-Antifolterkonvention handelt?

Grund- und Menschenrechte sind für uns allgemeingültig und unteilbar. In diesem Sinne sehen wir es als notwendig an, das gesamte System der gesundheitlichen Versorgung so zu verändern, auszugestalten und auszubauen, dass eine konsequente Ausrichtung auf das Arbeiten ohne Ausübung von Zwang auf unterstützungsbedürftige Menschen erfolgt. Dies gebietet nicht zuletzt die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen.

Die Auffassung, dass jegliche der in der Frage genannten Maßnahmen in jedem Falle und in jeder Ausprägung und damit per se als Menschenrechtsverletzungen im Sinne der UN-Antifolterkonvention zu gelten haben, also als Folter einzustufen sind, teilen wir hingegen nicht. Wir denken dabei insbesondere an Situationen, in denen aufgrund psychiatrischer Ausnahmezustände eindeutig Gefahren für Leib und Leben der Betroffenen oder dritter Personen bestehen.

Dies stellt aber nicht in Abrede, dass Zwangsmaßnahmen nicht in jedem Fall als letzte Möglichkeit, als ultima ratio, angewendet werden, obwohl sie nur als solche zulässig sind. Deshalb muss der Schutz vor Zwangsbehandlungen nach unserer Ansicht ausgebaut werden. Die Fraktion DIE LINKE im Bundestag ist dieser Auffassung gefolgt, indem sie 2017 als einzige Fraktion das Gesetz zur Neuregelung der Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung abgelehnt hat. Zudem fehlen nach wie vor wissenschaftliche Studien, die Sinnhaftigkeit und Folgen von Zwangsbehandlungen umfassend untersuchen. Auch dass es immer noch keine flächendeckende Erfassung von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen gibt, fördert den Eindruck, dass das Leistungsgeschehen und damit das Schicksal der Betroffenen bewusst im Dunkeln gehalten werden sollen.

2. Sondergesetzgebung

Welche konkreten (außer)parlamentarischen Versuche hat ihre Partei in der aktuellen Legislatur unternommen, um das Sächsische Psychisch-Kranken-Gesetz als Zwangs- und Sondergesetz abzuschaffen? Welche Maßnahmen zur Abschaffung aller Zwangselemente in diesem Gesetzes möchte ihre Partei in der kommenden Legislaturperiode unternehmen?

Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Durchführung von Zwangsbehandlungen sind bundesrechtlich geregelt und können nicht für ein Land außer Kraft gesetzt werden. In diesem Sinne forderte DIE LINKE in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017: „Wir wollen eine gewaltfreie Psychiatrie und die Abschaffung von Sondergesetzen. Die räumlichen Bedingungen und die personelle Ausstattung müssen eine Behandlung ohne Zwang und Gewalt ermöglichen.“

Seitens der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag wurden in der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages keine öffentlich nachweisbaren parlamentarischen Initiativen unternommen, um Änderungen am Sächsischen Gesetz über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) oder dessen Außerkraftsetzung herbeizuführen.

Allerdings sind wir uns – auch angesichts des Berichtes des Deutschen Institutes für Menschenrechte „Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland (Juli 2017-Juni 2018)“ – darüber im Klaren, dass die Situation psychisch erkrankter Menschen in Sachsen zu verbessern ist und dass Maßnahmen gegen Zwang in der Behandlung ergriffen werden müssen. Wir werden dementsprechend darauf hinwirken, dass sich die zukünftige Fraktion DIE LINKE im 7. Sächsischen Landtag im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit diesem Problemfeld befassen wird, wenngleich durch das Landeswahlprogramm kein ausdrücklicher Auftrag vorgegeben ist. Als Möglichkeiten sehen wir dabei auch, eine vollständige Erfassung von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen und Zwangsunterbringungen zu fordern und alle Maßnahmen zu unterstützen, die helfen, die Zahl und Schwere von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen so weit wie derzeit möglich zu reduzieren. Dazu gehören der Ausbau ambulanter Hilfesysteme und Home-Treatment-Angebote mit dem Ziel, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, schnelle Hilfe in Krisensituation zu gewährleisten und die Zahl der stationären Aufenthalte zu senken.

In diesem Zusammenhang muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass die Durchsetzungsmöglichkeiten einer Fraktion innerhalb des Landtages dabei durch die Stärke der Fraktion, die Zusammensetzung des Landtages und die dementsprechenden Mehrheitsverhältnisse, die Rolle von Partei und Fraktion innerhalb des Systems der Gewaltenteilung sowie durch die Aufteilung gesetzgeberischer Kompetenzen zwischen Bund und Ländern bestimmt sind. Bisher ist es dadurch zwar schon gelungen, wenig beachtete Themen in die öffentliche Auseinandersetzung zu bringen und so mittelbar zu Veränderungen beizutragen, nicht aber unmittelbar neue rechtliche Rahmensetzungen zu bewirken.

3. Gutachten

Welche konkreten Maßnahmen hat ihre Partei in der aktuellen Legislaturperiode unternommen, um die Macht psychiatrischer Gutachten einzuschränken und gegen den eigenen Willen zu beenden? Welche konkreten Maßnahmen wird ihre Partei ergreifen, um den Einfluss psychiatrischer Gutachten zu minimieren oder zu unterbinden und um Begutachtungen und Untersuchungen gegen den eigenen Willen zu verbieten?

Zunächst ist festzustellen, dass aus unserer Sicht entsprechende gerichtliche Entscheidungen, soweit sie tatsächlich erforderlich sind, nicht ohne medizinische Sachverständige, die die betroffenen Personen umfassend begutachten, getroffen werden können.

Problematisch sind aber die im Bereich dieser Begutachtungen vorkommenden Negativ-Erscheinungen, wie bestehende wirtschaftliche Abhängigkeiten der Gutachterinnen und Gutachter von der Erstellung gerichtlicher Gutachten, Tendenzsignalisierungen, d.h. Ergebnisvorgaben an die Gutachterinnen und Gutachter von Seiten des Gerichts, oder sogenannte „Fließbandgutachten“. Die für diesen Bereich vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen, die Sie auch zitiert haben, beziehen sich jedoch bisher nicht auf den Freistaat Sachsen.

Die Partei DIE LINKE. wird deshalb in der kommenden Legislaturperiode mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln im Sächsischen Landtag darauf hinwirken, dass die Qualität psychiatrischer Begutachtungen in gerichtlichen Verfahren im Freistaat Sachsen wissenschaftlich untersucht wird.

Gleichzeitig werden wir uns für die Verbesserung der Qualität der Begutachtungen und für mehr Transparenz im Umgang mit diesen engagieren. Die Partei DIE LINKE wird sich zu diesem Zweck dafür einsetzen, dass die für die Erstattung entsprechender Gutachten zu zahlenden Honorare erhöht werden. Durch eine bessere Vergütung dieser Tätigkeit soll eine sachgerechte Einzelfalluntersuchung ermöglicht und „Fließbandbegutachtung“ verhindert werden. Daneben werden wir uns für die Einführung gesetzlicher Mindestvorgaben an medizinische Gutachten für Gerichtsentscheidungen auf Bundesebene engagieren. Damit soll eine transparente Überprüfung, insbesondere die prozessuale Abwehr mangelhafter Gutachten, für die Betroffenen erleichtert werden.

4. Psychiatrische Diskreditierung

Welche konkreten Maßnahmen hat ihre Partei in der aktuellen Legislaturperiode unternommen, um zu verhindern, dass Menschen mit tatsächlichen oder vermeintlichen psychischen Problemen in Hinblick auf ihre geistigen, emotionalen, kognitiven, kommunikativen oder wahrnehmungsbezogenen Fähigkeiten von der Psychiatrie als unfähig verleumdet werden können? Welche diesbezüglichen Maßnahmen wird ihre Partei in der kommenden Legislatur durchsetzen?

DIE LINKE setzt sich sehr für die umfassende Umsetzung der UN-Behindertenrechtkonvention in Sachsen und damit für die Durchsetzung der Menschenrechte und der Gleichstellung für Menschen mit Beeinträchtigungen – auch psychischer Art – in der Gesellschaft ein. Die Benutzung des Terminus „geisteskrank“ lehnen wir dementsprechend in diesem Zusammenhang als diskriminierend ab. Wir wenden uns gegen jegliche Abwertung von Menschen, insbesondere auch im Falle von Krankheit oder Behinderung.

Zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen wurde deshalb auch in dieser Wahlperiode des Sächsischen Landtages von der Fraktion DIE LINKE in Drucksache 6/13144 erneut ein Gesetzentwurf für ein „Gesetz zur Gleichstellung, Inklusion und selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Inklusionsgesetz ‑SächsInklusG)“ vorgelegt. Dieser wurde in der Sitzung des Landtages am 2. Juli 2019 durch die Koalitionsfraktionen CDU und SPD abgelehnt. Da in selbiger Sitzung des Landtages auch ein Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der SPD zur Novellierung des einschlägigen sächsischen Gesetzes zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verabschiedet wurde, wird in der kommenden Wahlperiode zu prüfen sein, ob dieser die gewünschten Wirkungen zur Gleichstellung erzielt.

Darüber hinaus unterstützen wir selbstverständlich sämtliche Gesetzesänderungen, die dazu beitragen, Zwang in Behandlungen einzudämmen und abzuschaffen. Auf der Ebene des Bundestages erfolgt dies über die Zusammenarbeit mit der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Hier in Sachsen werden wir uns – wie auch schon in den vergangenen Jahren – im Rahmen der Haushaltdebatten und durch Anträge dafür stark machen, dass eine Sicherung und ein Ausbau aller Strukturen erfolgen, die stationäre Behandlungen verhindern und/oder personenzentrierte Betreuung verbessern können, wie durch gemeindepsychiatrische Dienste. Außerdem werden wir – wie oben gesagt – darauf hinwirken, dass die Datengrundlage bezüglich von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie und ihrer tatsächlichen Wirksamkeit verbessert wird.