Wahlprüfstein Landtagswahl 2019: Ingenieurkammer Sachsen

1. Freiberuflichkeit sichern – Verbraucherschutz stärken

Vielfältige Neureglungen seitens der EU-Kommission betreffen auch das etablierte System der Freien Berufe in Deutschland. Dies zeigt nicht zuletzt das Vertragsverletzungsverfahren, welches die Abschaffung der HOAI-Mindest- und Höchstsätze zum Ziel hat. Ziel der HOAI ist jedoch ein definiertes Leistungsbild zu aufwandsadäquaten Honoraren, Ein Unterlaufen würde Preisdumping zu Lasten des Verbraucherschutzes nach sich ziehen. Dies steht dem Qualitätsversprechen der planenden Ingenieure jedoch unvereinbar gegenüber. Gleichzeitig muss die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in ihrem Status als Gesetz insbesondere von öffentlichen Auftraggebern konsequent angewendet werden. Das Unterlaufen der HOAI ist stärker als bisher zu unterbinden. Für nicht mehr geregelte Teilleistungen sind die Honorierungsempfehlungen des Ausschusses der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung e.V, anzuwenden („Grüne Schriftenreihe« des AHO).

Die Ingenieurkammer Sachsen fordert daher ein klares Bekenntnis aller Abgeordneten zur Honorarordnung für Architekten und Ingenieure als Grundlage für planende Ingenieurbüros.

  • Der Generalanwalt im betreffenden Vertragsverletzungsverfahren am Europäischen Gerichtshof (EuGH) sieht die aktuelle HOAI mit dem EU-Recht nicht vereinbar. Das EuGH-Urteil wird für die zweite Jahreshälfte 2019 erwartet und wird dann ggf. dazu führen, dass die HOAI angepasst werden muss. Wenn die HOAI nach dem Urteil verändert werden sollte, dann darf auf keinen Fall ein Kampf um den niedrigsten Preis das Resultat sein. Wir als LINKE wollen einen Wettbewerb um die beste Planungsleistung, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, ökologischen Kriterien gerecht wird und eine gute, sichere Bezahlung der Leistungen bieten. Grundsätzlich lehnen wir es ab, bislang sinnvoll regulierte freiberufliche Tätigkeiten einem reinen Preiswettbewerb zu unterwerfen. Entsprechend haben wir uns in der Debatte zur letzten HOAI-Novellierung im Bundestag positioniert. Darüber hinaus setzt sich die LINKE für eine Stärkung des Binnenmarktes durch öffentliche Investitionen und für eine steuerliche Entlastung mittelständischer Betriebe, für faire Arbeitsbedingungen und die soziale Absicherung ihrer Beschäftigten ein.

2. Mittelstandsfreundliche Vergabepraxis

Nach wie vor ist zu konstatieren, dass in Sachsen ansässige Ingenieurbüros durch die aktuelle Vergabepraxis benachteiligt werden. Die Hauptursache sind dabei überzogene Referenzanforderungen. Insbesondere kleine und mittlere Ingenieurbüros können die steigenden Anforderungen bei Vergabeverfahren nur noch schwer erfüllen und werden zunehmend vom Wettbewerb ausgeschlossen. Somit ist die derzeitige Vergabepraxis existenzbedrohend für eine ganze mittelständische Branche und zugleich äußerst ineffizient für die Auftraggeber. Eine weitere Verschärfung der Situation droht dadurch, dass die Europäische Kommission aktuell gegen die in Deutschland praktizierte Methode der Auftragswertberechnung von Planungsleistungen vorgeht. Setzt sie sich durch, würde künftig fast jedes Projekt den Schwellenwert europaweiter Ausschreibungen überschreiten. Auch hier wären die Folgen für die kleinen und mittleren Ingenieurbüros besonders fatal und auftraggeberseitig würde sich der Aufwand ebenfalls massiv erhöhen.

Die Vergabepraxis bei öffentlichen Aufträgen ist daher deutlich zu verschlanken, z, B. durch die Erweiterung des Referenzspektrums der einzureichenden Referenzen sowie durch die Erhöhung der Referenzgültigkeitsdauer. Im Falle eines Erfolgs der EU-Kommission hinsichtlich der Auftragswertberechnung sind alternative Lösungen mit deutlich höheren Schwellenwerten anzustreben. Für die Teilnahme on größeren Vergabeverfahren sind Preisgelder auszuloben. 

  • Nur 39 Prozent der Beschäftigten in Sachsen werden nach Tarif bezahlt. Damit ist Sachsen das Schlusslicht in Deutschland. Auch bei den Verdiensten der Ingenieurinnen und Ingenieure liegt Sachsen im hinteren Drittel. Die Vergabe öffentlicher Aufträge zu fairen Bedingungen wäre ein erster, wichtiger Schritt um das zu ändern. Deshalb haben wir auch einen Gesetzentwurf für ein modernes Vergaberecht in Sachsen vorgelegt.[1] Die Regierungskoalition hat das leider abgelehnt. Wir unterstützten Ihre Forderungen kleinere und mittlere Büros zu entlasten und bei größeren Vergaben Preisgelder auszuloben. 

3 Digitalisierung der Planungs- und Baubranche

Es ist hinlänglich bekannt, dass die Planungs- und Baubranche noch erhebliches Aufholpotenzial im Bereich Digitalisierung aufweist. Durch die Einführung eines ganzheitlichen Planungsprozesses nach dem Konzept des „Building Information Modeling« (BlM) wird dieses Potenzial in den kommenden Jahren immer stärker genutzt. Dieser Entwicklung muss sich auch die öffentliche Hand anpassen. Es ist wenig zielführend, wenn der Planungsprozess digital stattfindet, aber das Genehmigungsverfahren immer noch auf gedrucktes Papier setzt. Das derzeit laufende Pilotprojekt zur Digitalisierung der Bauverwaltung in Sachsen ist dabei der richtige Weg.

Planungsbeschleunigung wird es nur mit Digitalisierung geben. Daher sind die Erkenntnisse aus dem o. g, Pilotprojekt bis in die unterste Ebene der sächsischen Bauverwaltung zu kommunizieren und umzusetzen. 

  • Wir als LINKE widmen uns nicht der Frage ob und wie die Digitalisierung kommt, sondern welche Chancen und Risiken sich für Sachsen und die Bürgerinnen und Bürger ergeben. Die Chancen liegen unter anderem in verschlankten und zeitlich verkürzten Planungsprozessen, wie von Ihnen angesprochen. Dafür braucht es aber überall in Sachsen, also auch in den ländlichen Räumen und den sächsischen Mittelstädten die digitale Infrastruktur dazu. Für uns ist die Breitbandversorgung im Jahr 2019 ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Deshalb haben wir auch einen Vorschlag für eine Sächsische Landesgesellschaft für den Breitbandausbau vorgelegt.[2]
    Planungsverfahren müssen auch in Zukunft – Digitalisierung hin oder her – von Behörden auf fachlicher Augenhöhe und mit entsprechender Sorgfalt begleitet und überwacht werden. Wir sehen eine steigende Diskrepanz zwischen der (technischen) Entwicklung der Planungswerkzeuge und –modelle (u. a. BIM) auf der einen und der fachlichen Kompetenz der Behörden auf der anderen Seite. Dazu kommt noch der allgemeine Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst (wie auch in anderen Bereichen). Das führt in Summe dazu, dass in allen Bereichen behördlicher Tätigkeit die vom Markt und auch von der Verwaltung eingeführten Instrumente zum Teil nicht mehr in Gänze beherrscht oder verstanden werden. Damit schwindet aber die staatliche Gestaltungsmacht bzw. Hoheit im Verfahren. Wir setzen uns dafür ein, dass die öffentliche Hand sich durch Weiter- und Fortbildung das nötige fachliche Rüstzeug für die Digitalisierung aneignet (vgl. unseren Antrag zu Bildungsurlaub). Außerdem fordern wir transparente und einheitliche Vorgaben für Software im Vergabeverfahren, u.a. durch Migrationsschnittstellen. Es kann nicht sein, dass Unternehmen für ein und dasselbe Verfahren (hier Vergabe) aufgrund von Inkompatibilitäten tlw. mehrere Software-Produkte für mehrere Bundesländer bereithalten müssen. 

4. Berufsrecht für Ingenieure

Die zunehmende Komplexität in den ingenieurtechnischen Berufen und die damit verbundenen steigenden Planungsanforderungen setzen eine hohe Qualifikation voraus. Das derzeit im Sächsischen Ingenieurgesetz festgeschriebene MINT-Niveau von nur 51 Prozent im Rahmen der Ausbildung (bezogen auf einen 6‑semestrigen Bachelorstudiengang) fördert einen inflationären Umgang mit der Berufsbezeichnung „Ingenieur« und ist der Qualitätssicherung im Sinne des Verbraucherschutzes nicht dienlich.

Der vorgeschriebene MINT-Anteil im Rahmen eines Bachelorstudiums für die Berufsbezeichnung „Ingenieur« ist auf mindestens 70 Prozent zu erhöhen (analog dem niedersächsischen Ingenieurgesetz). Des Weiteren ist in sicherheitsrelevanten Bereichen die Einführung eines Berufsausübungsrechtes – vollzogen durch die Ingenieurkammer Sachsen – zu prüfen.

  • Auf den ersten Blick ist gegen die Anhebung des MINT-Niveaus im Ingenieurstudium nichts einzuwenden. Neben einem ersten Blick bedarf es aber auch des zweiten Blickes, heißt: Wir sollten das genau prüfen. Denn wir sehen auch, dass Ingenieurinnen und Ingenieure weit mehr Kompetenzen brauchen als nur die klassischen MINT-Fähigkeiten.Beispiel 1: Es waren Ingenieure bei privaten Autokonzernen, die mit hoher krimineller Energie die Behörden durch Veränderungen an der fahrzeugseitigen Software betrogen haben. Und es waren Ingenieure am Kraftfahrtbundesamt, denen dies viel zu spät auffiel – die Kollegen und Kolleginnen aus den USA waren da schneller.
  • Beispiel 2: Wie in Punkt 4 beschrieben bringt die Digitalisierung eine Reihe neue Werkzeuge auf den Markt. Im Studium braucht es deshalb auch die kritische Auseinandersetzung mit Modellen und Methoden. Ingenieure und Ingenieurinnen in Deutschland sollten neue Verfahren, Modelle und Entwicklungen nicht nur selbst kennen und anwenden können, sondern auch verstehen, verändern und insbesondere bei der öffentlichen Hand auch kritisch prüfen können. Eine Anhebung des MINT-Niveaus darf nicht zu Lasten dieser Kompetenzvermittlung führen.
  • Beispiel 3: Der Sächsische Rechnungshof und die TU Dresden haben in Gutachten festgestellt, dass bei Straßenausbau- und Straßennetzplanungen in Sachsen immer wieder fachlich nicht zutreffende Grundannahmen getroffen werden. Dies führt in Sachsen unter anderem zu überdimensioniert geplanten Straßen. Ökologische und ökonomische Ressourcenschonung sollten jedoch handlungsleitende Kriterien für die Planenden, als auch die zuständigen technischen Angestellten in den Behörden sein.
  • Fazit: In Sachsen fehlt es an politischen Bildungsprozessen. Das fängt schon in den Schulen an. Ingenieurinnen und Ingenieure sind nicht nur Ausführende und Konstrukteure, sondern sollten gewissenhafte Gestalterinnen und Gestalter sein. Dafür braucht es zu aller erst Kernkompetenzen (MINT), aber eben auch noch etwas mehr.
    Mit dem Berufsausübungsrecht für Ingenieure ist es ähnlich. Wir sind gegen eine Absenkung der Standards und wollen Verbraucherschutz und Ausführungsqualität sichern. Es muss bei der Zulassung genau hingeschaut werden. Wer dafür verantwortlich ist, steht auf einem anderen Blatt.

5. Investitionen in Infrastruktur

Grundvoraussetzung für eine prosperierende wirtschaftliche Entwicklung und Innovationskraft ist eine funktionierende Infrastruktur, die in ihrer Werthaltigkeit dauerhaft erhalten wird. Dazu ist eine dauerhaft bereitzuhaltende, hohe lnvestitionsquote erforderlich. Höhere Steuereinnahmen sollten vornehmlich in die Sanierung und den Ausbau der Infrastruktur investiert werden.

Um einen weiteren Vermögensverzehr zu stoppen, sind Investitionen in die Staatsstraßen, mindestens in Höhe der jährlichen Abschreibungen, erforderlich.

  • Wir teilen die Einschätzung. Wir sehen bei den Investitionen allerdings die Priorität auf dem Erhalt der Staatsstraßen, der Ausstattung der Staatsstraßen mit begleitenden Radwegen sowie in Ortsdurchfahrten auf der Einrichtung von Querungsanlagen für den Fußverkehr und verkehrsberuhigender Gestaltung im Sinne der Verkehrssicherheit. Für uns ist die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts nicht die nächste neue Ortsumfahrung, sondern die digitale Infrastruktur. Außerdem: Die Eisenbahninfrastruktur ist in den letzten Jahren stark vernachlässigt worden. Hier besteht enormer Nachholbedarf (u.a. barrierefreie Gestaltung), auch in Sachsen. Der Freistaat hat hier von Universitäten und Forschungseinrichtungen, über Gleisbau- und Geotechnologieunternehmen bis hin zu den Ingenieur- und Planungsbüros sowie den Schienenfahrzeug-Herstellern eine gute Position.

 

6. Beratender Ingenieur

Beratender Ingenieur darf sich in Deutschland nennen, wer seine Unabhängigkeit von gewerblichen Interessen nachgewiesen hat. Dies wird von einem unabhängig arbeitenden Gremium geprüft. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber in der letzten Novelle auch höhere fachliche Zugangshürden für den Bl eingeführt, Damit genießt der Beratende Ingenieur das besondere Vertrauen des Bauherren.

Diese vorab geprüfte und überwachte Zuverlässigkeit sollte im Sinne des Verbraucherschutzes künftig als Prüfkriterium bei Vergabeleistungen der öffentlichen Hand herangezogen werden 

  • Uns als LINKE ist es selbstverständlich, dass behördlich bestellte oder in öffentlichen Verfahren für die Verwaltung tätige Fachkräfte von gewerblichen Interessen unabhängig sein sollten. Korruptionsbekämpfung ist uns eine Herzensangelegenheit, auch deshalb nehmen wir als Partei keine Großspenden von Unternehmen an. Wer die von Ihnen angesprochene Zuverlässigkeit im Sinne des Verbraucherschutzes am Ende prüft und überwacht muss im Einzelnen geklärt werden.

 

In eigener Sache
Gestatten Sie mir noch drei Hinweise, auch wenn die betreffenden Themen in Ihren Wahlprüfsteinen nicht direkt angesprochen werden. 

Ingenieurinnen in Sachsen: Wir als LINKE sehen mit Bedauern, dass die Quote der Ingenieurinnen in den ostdeutschen Unternehmen sinkt. Und noch mehr bedauern wir, wie kommentarlos (fast schon als Naturgesetz im Sinne einer Angleichung an westdeutsche Lebensverhältnisse) das von den Verantwortlichen in den Branchenverbänden das hingenommen wird.[3] Wir finden uns nicht damit ab und stehen bereit für Gespräch zu diesem Thema.

Partizipative Gestaltung: In Fragen der Gestaltung öffentlicher Infrastruktur oder der Verwendung öffentlicher Gelder für bestimmte Projekte steigt zum einen der Anspruch der Bevölkerung an Transparenz und Mitsprache. Zum anderen besteht die Gefahr, dass Menschen mit wenig „Ressourcen“ (i. S. v. Kraft und Macht eigene Rechte einzufordern) im Prozess nicht mitgedacht werden, u.a. Menschen mit Behinderung.
Wir als LINKE befürworten daher eine stärkere Partizipation Betroffener in Planungsprozesse. Die Werkzeuge dafür gibt es, aber es braucht entsprechende Methodenkompetenz im Ingenieurwesen oder den Zugang zu diesem, entweder durch Ausbildung (spielt wieder in die Debatte um den MINT-Anteil hinein) oder interdisziplinäre Partnerschaften.
Wir setzen uns dafür ein, dass Politik und Verwaltung in Planungsprozessen diese  Kompetenzen auch nachfragt bzw. einfordert. Ziel sind (insbesondere bei größeren Projekten) tragfähige Entscheidungen und Planungen, die partizipativ begleitet werden und transparent sind, bei all dem aber den Anspruch an Effizienz und Effektivität genügen.

Fachkräfte in der öffentlichen Verwaltung: Die Arbeitsbedingungen für Ingenieurinnen und Ingenieure in der öffentlichen Verwaltung müssen sich verbessern, allein schon um im Kampf um die Fachkräfte gegen die Optionen „Wegzug“ oder „Privatwirtschaft“ zu bestehen. Dazu gehören zum einen gute Bezahlung und Bildungsurlaub für die Angestellten.[4] Zum anderen gehört dazu auch die explizite strategisch-politische Förderung der Verbleibechancen von gut ausgebildeten Frauen im ländlichen Raum, um auch hier das Fachkräfte-Potenzial vor Ort zu heben oder zu halten.[5]


[1] vgl. Gesetz zur Weiterentwicklung des Vergaberechts im Freistaat Sachsen, GesEntw DIE LINKE 28.06.2018 Drs 6/13914

[2] vgl. Versorgung mit schnellem Internet als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge gesetzlich verankern – Sächsische Landesgesellschaft für den flächendeckenden Ausbau von Hochgeschwindigkeitsdatennetzen einrichten!; GesEntw DIE LINKE Drs. 6/16711

[3] vgl. Presse-Mitteilung des VDMA-Ost vom 21. Februar 2017

[4] vgl. Gesetz über die Weiterbildung und das lebenslange Lernen im Freistaat Sachsen; GesEntw DIE LINKE 20.06.2017 Drs 6/9883

[5] vgl. Handlungsempfehlungen der Studie zur „Verbesserung der Verbleibchancen junger Frauen in der Oberlausitz« der Hochschule Görlitz-Zittau