Wahlprüfstein Landtagswahl 2019: die freilerner

1. Laut Recherchen des Vice Magazin waren 2017 in Sachsen 200 junge Menschen wegen ihrer Schulverweigerung im Jugendarrest. Die Motive nicht zur Schule zu gehen, sind sehr unterschiedlich. Aktuell wird in der Öffentlichkeit auch im Zusammenhang mit Fridays for Future über die Abwägung verschiedener Grundrechte mit der Schulpflicht diskutiert.
Wie steht Ihrer Partei zu Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Schulpflicht? Welchen Umgang mit schulverweigernden jungen Menschen hält Ihre Partei für sinnvoll?

  • Zur Antwort sei auf die bestehende Rechtslage verwiesen. Die Pflicht zum Besuch einer Schule ist nicht nur im Schulgesetz des Freistaates Sachsen verankert, sondern auch in der Landesverfassung. Dort heißt es in Artikel 102: „Es besteht allgemeine Schulpflicht.“ „Schulpflicht“ bedeutet nicht nur, dass alle Kinder zu Schule gehen müssen. Es bedeutet auch, dass alle Kinder das Recht haben, eine Schule zu besuchen. Denn das gehört zu den Kinderrechten: Das Recht auf Bildung. So steht es in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Darin sind alle Rechte aufgeschrieben, die Kinder in der ganzen Welt haben. Das Recht auf Bildung ist deshalb so wichtig, weil eine gute Allgemeinbildung eine gute Grundlage dafür ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
  • Eltern, die ihren Kindern den Schulbesuch verweigern, drohen Strafen. Das Bundesverfassungsgericht begründete dies 2014 mit dem Interesse der Allgemeinheit, religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte schon 2006: Es gibt kein Recht auf Heimunterricht. Anfang des Jahres hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Auffassung bekräftigt. Es hat über den Fall einer Familie geurteilt, die sich aus religiösen Gründen geweigert hatte, ihre vier Kinder in die Schule zu schicken, und sie zuhause unterrichtete. Die Behörden holten die Kinder daraufhin 2013 aus der Familie und brachten sie für drei Wochen im Heim unter, um die Schulpflicht durchzusetzen. Die Eltern sehen dadurch ihr Menschenrecht auf Familienleben verletzt. Die Straßburger Richter hielten fest, dass mit dem teilweisen Sorgerechtsentzug in das Recht auf Familienleben eingegriffen worden sei. Die Gründe dafür seien aber „relevant und ausreichend“ gewesen. Die deutschen Behörden hätten Grund zur Annahme gehabt, dass die Kinder in Gefahr schwebten, isoliert waren und keinen Kontakt zu Menschen außerhalb der Familie hatten.
  • DIE LINKE sieht derzeit weder eine politische Mehrheit im Parlament, Änderungen an der bestehenden Rechtslage vorzunehmen, noch wird sie diese vorantreiben.

2. In den meisten anderen europäischen Ländern sind Freilernen oder zumindest Homeschooling als Bildungsformen legal möglich. So kann z. B. in Österreich die Schulpflicht auch durch den „häuslichen Unterricht“ erfüllt werden. In England sind die Eltern verpflichtet, für eine Bildung des Kindes zu sorgen, die seinem Alter, seinen Fähigkeiten, Fertigkeiten sowie jeglichen möglicherweise vorhandenen besonderen Bildungsbedürfnissen angemessen ist, entweder durch den regelmäßigen Besuch einer Schule oder auf andere Art und Weise. 

Wird in Ihrer Partei über Freilernen und Homeschooling diskutiert? Gibt es in Ihrer Partei oder im Umfeld Ihrer Partei Ansätze, um das Bildungssystem in Sachsen für Freilernen und Homeschooling zu öffnen? Wo haben Sie noch Bedenken? 

  • DIE LINKE ist grundsätzlich offen für Debatten über gesellschaftlich relevante Themen. In der Partei wird im geringen Umfang über Freilernen und Homeschooling diskutiert. Zu dem Zweck haben in dieser Legislaturperiode im Landtag Gespräche mit Eltern stattgefunden. Diese haben bisher aber zu keinen parlamentarischen Aktivitäten geführt.

3. Bei demokratischen Schulen sowie bei freien aktiven Schulen sind selbstbestimmtes Lernen, informelles Lernen und die Mitbestimmung der jungen Menschen ganz zentral. 

Haben Sie sich als Partei mit den Erfahrungen solcher Schulen befasst?
Wie stehen Sie dazu? Halten Sie die Erfahrungen dieser Schulen auch auf Schulen in staatlicher Trägerschaft übertragbar?

  • Am Anfang eine Klarstellung: DIE LINKE hält die Schulen in Sachsen, bei aller berechtigten Kritik, nicht für Einrichtungen, in denen es undemokratisch zugeht. Dagegen sprechen die Mitwirkungsrechte von Schülerinnen und Schülern sowie der Eltern.
  • Nach Auffassung der Partei DIE LINKE unterscheidet sich jedoch die Unterrichtsschule von der demokratischen Schule nicht allein der Organisationsform nach, sondern ihr liegt auch ein anderes Bildungsverständnis zugrunde. Das verdeutlicht u.a. ein entsprechender Antrag, den die Landtagsfraktion der LINKEN im Parlament zur Debatte gestellt hat: „Schule demokratisieren und politische Bildung stärken“, Landtags-Drucksache 6/889. In einer demokratischen Schule sollen Heranwachsende in einem verkleinerten, überschaubaren und institutionell geschützten Rahmen die Erfahrung des Bürgerhandelns machen können, das auf Selbstbestimmung, Verantwortungsübernahme und Verständigung beruht. Schülerinnen und Schüler lernen Unterschiede kennen und bejahen, und sie lernen Formen von unverschuldeter Benachteiligung wahrzunehmen und aufzuheben. Die demokratische Schule legt Wert auf das Erlernen einer moralischen Haltung, die zum streitbaren Dialog mit anderen befähigt. Die Aneignung von Sachwissen tritt dahinter zurück. Weniger um ein funktionales Wissen geht es in der demokratischen Schule als um die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst, mit den anderen und mit dem gesellschaftlichen Umfeld. Kritische Aufnahmefähigkeit hat Vorrang vor dem Erwerb von Sachwissen, das sich ohnehin ständig verändert. Denn Bildung ist der „Vorgang, durch den man zum Subjekt seiner Handlungen wird”. (Hartmut von Hentig)
  • Als beispielhaft können die Leipziger Nachbarschaftsschule (NaSch) und das Chemnitzer Schulmodell gelten. Beide Schulen bestehen seit Anfang der neunziger Jahre und nehmen Kinder bereits in der Grundschule auf. Sie sind Gemeinschaftsschulen, die nach reformpädagogischen Grundsätzen arbeiten und ihren Ursprung in der Bürgerbewegung des Jahres 1989 haben. Die wissenschaftliche Begleitung bescheinigt beiden Schulen sehr gute Ergebnisse. Als LINKE unterstützen wir aktiv den laufenden Volksantrag „Gemeinschaftsschule in Sachsen – länger gemeinsam lernen“, der solche Schulen als zusätzliche Schulart auch in Sachsen möglich machen soll.

4. Wie zufrieden sind Sie mit dem Stand der Selbstbestimmungsrechte sowie der Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen in den Schulen in Sachsen?
Streben Sie hier Veränderungen an und wenn ja, welche?

  • Als Antwort sei auf die Ausführungen zur Frage drei verwiesen und den dort angesprochenen Antrag der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag zum Thema: „Schule demokratisieren und politische Bildung stärken“.

5. Zusatzfrage: Haben Sie Hinweise und Empfehlungen für Familien und Initiativen, die mit Ihrer Partei zu selbstbestimmter Bildung ins Gespräch kommen wollen?

  • Für Gespräche über Freilernen und Homeschooling stehen Mitglieder von DIE LINKE jederzeit zur Verfügung. Wie bereits erwähnt, haben erste Gespräche dazu mit Mitgliedern der Landtagsfraktion der LINKEN schon stattgefunden. Das Interesse, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, besteht auf Seiten der Partei DIE LINKE, wie auch der Landtagsfraktion.