Sozialer Freistaat statt Polizeistaat! Beschluss des Landesparteitages

  • DIE LINKE. Sachsen unterstützt die Vorbereitungen und Durchführungen von Aktivitäten gegen das neue Polizeigesetz in Sachsen.
  • DIE LINKE. Sachsen beteiligt sich an Bündnissen, die Widerstand gegen das Polizeigesetz organisieren.
  • Die LINKE. Sachsen richtet die eindringliche Bitte an die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, alle parlamentarischen Mittel bis hin zu einer möglichen Verfassungsklage im Normenkontrollverfahren auszuschöpfen, um die Bürger*innen im Freistaat Sachsen vor den tiefen Grundrechtseingriffen, der weiten Vorverlagerung der Eingriffsbefugnis vor eine konkrete oder anzunehmende Straftat sowie der Ersetzung der Unschuldsvermutung durch den allgemeinen Gefährder*innenansatz zu schützen und das Gesetz zu verhindern.

Was ist überhaupt geplant?

Aktuell hat die Landesregierung neun Verbände und Institutionen um eine Stellungnahme zu dem Entwurf gebeten. Im Herbst 2018 soll dieser dann im Kabinett verabschiedet und danach in den Landtag eingebracht werden. In Kraft treten soll das Gesetz wohl erst in der zweiten Jahreshälfte 2019.

Bewaffnung (§ 40)
Die Polizei Sachsen soll Handgranaten und Maschinengewehre bekommen. Beides ist auf Spezialeinheiten beschränkt. Diese sind in Sachsen in der Vergangenheit allerdings auch schon bei normalen Demonstrationen zum Einsatz gekommen. Der Einsatz von Handgranaten gegen Menschenmengen ist verboten. Sie dürfen „nur gebraucht werden, um einen Angriff abzuwehren“. Vorgesehen ist außerdem die Einführung von neuer Munition, die darauf ausgerichtet ist, „den Betroffenen zu überwältigen, ohne ihn dabei tödlich zu verletzen“. Hierbei handelt es sich wohl um Gummigeschosse – möglich wären unter dieser Formulierung aber womöglich auch sogenannte Taser, also Elektroschock-Waffen, oder Munition, die betäuben und bewusstlos machen soll.

Video-Überwachung und Gesichtserkennung (§ 15 und § 58 – sowie § 30 PVB)
Dem Entwurf zufolge soll die Polizei automatisch Kennzeichen sowie den Ort, die Zeit und die Fahrtrichtung von Fahrzeugen erfassen dürfen. An den Grenzen zu Polen und Tschechien sowie bis zu 30 Kilometer davor soll die Polizei außerdem den Verkehr mit Bildaufzeichnungen überwachen und diese Daten automatisch mit anderen personenbezogenen Daten abgleichen können – also zum Beispiel auch einer Gesichtserkennung. Künftig sollen darüber hinaus auch Polizeibehörden, also die Kommunen, den öffentlichen Raum per Video überwachen dürfen.

Keine Kennzeichnungspflicht (§ 11)
Der Entwurf für das neue Polizeigesetz sieht vor, dass sich Polizisten ausweisen müssen. Allerdings heißt es dort auch: „Dies gilt nicht, wenn die Umstände es nicht zulassen.“ Von einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten ist im Entwurf keine Rede. (Hintergrund: In der CDU-SPD-Koalition in Sachsen will vor allem die SPD die Kennzeichnungspflicht einführen. Das unterstützt die CDU nicht. Im Gegenzug für den Verzicht auf die Kennzeichnungspflicht hatte die Union offenbar darauf verzichtet, die sogenannte „Quellen-TKÜ“ in den Entwurf zu übernehmen: Quellen-TKÜ steht nun wohl nicht im Entwurf. Dabei wird Kommunikation überwacht, bevor sie verschlüsselt wurde oder nachdem sie wieder entschlüsselt wurde – direkt vom Gerät also. Das BKA darf das bereits.)

Bodycams – auch für das Ordnungsamt (§57 – sowie §30 PVB)
Den Einsatz sogenannter Bodycams – also Kameras, die polizeiliche Maßnahmen aufzeichnen – schließt der Entwurf nicht aus. Dort, wo Beamte annehmen, dass eventuell demnächst jemand eine Straftat begehen könnte und Personen oder Sachen schädigen, soll die Polizei „durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen oder ‑aufzeichnungen von Personen erheben“ dürfen. Ein solcher Passus findet sich auch im Polizeivollzugsdienstgesetz – also der Grundlage, auf der Mitarbeiter von Ordnungsämtern von Städten und Kommunen arbeiten. Auch diese „Hilfspolizei“ soll damit Bodycams tragen dürfen.

Heimliche Kontrollbereiche (§ 15)
Die Polizei kann öffentliche Kontrollbereiche einrichten. In diesen Gebieten gelten dann Ausnahmeregelungen, Grundrechte können eingeschränkt werden. Auch die Überwachung von Kommunikation ist denkbar. Bestehen diese Kontrollbereiche weniger als 48 Stunden, sieht der Entwurf vor, dass die Polizei sie nicht mehr in jedem Fall öffentlich bekanntgeben muss.

Hausarrest und Fußfessel (§ 21)
Die Polizei soll dem Entwurf zufolge nicht mehr nur Aufenthaltsverbote aussprechen dürfen, sondern auch Aufenthaltsgebote. Diese dürfen bis zu drei Monate dauern. Auch ein Kontaktverbot soll die Polizei erlassen können. Zur Durchsetzung soll sie auch Personen in Gewahrsam nehmen können. Die Aufenthaltsüberwachung mit einer elektronischen Fußfessel soll eingeführt werden. Personen, die die Behörden als gefährlich einstufen, können so auf bestimmte Gebiete beschränkt werden.

Überwachen und Unterbrechen von Telefongesprächen, Handys orten und Daten aus Handys auslesen (§§ 66–70)
Für schwere Straftaten und wenn ein Richter das anordnet soll die Polizei nicht nur Telefongespräche abhören, sondern diese auch unterbrechen dürfen. Beides soll auch für ganze Funkzellen und alle darin befindlichen Mobiltelefone möglich sein. Auch den Standort eines Handys soll die Polizei abfragen dürfen. Ebenso wie die Geräte- und Kartennummer, Bewegungsdaten, Verbindungsdaten (wer, wann, wie lange, von wo und mit wem telefoniert hat) sowie Bestandsdaten: das können Name, Adresse, Kontodaten und Geburtsdatum sein sowie PIN und PUK-Nummer des Handys, die IP-Adresse, auf dem Gerät gespeicherte Passwörter, Zum Beispiel für Mailaccounts oder Online-Adressbücher.

Körperliche Untersuchungen und Blutproben (§27)
Der Polizei sollen bei Durchsuchungen künftig auch körperliche Untersuchungen inklusive Blutproben erlaubt sein. Die weitere Verwendung der dabei gewonnenen Daten wird zwar eingegrenzt, ist aber nicht ausgeschlossen.

Überwachen von Journalisten und Beratungsstellen (§ 77)
Berufsgeheimnisträger dürfen eigentlich nicht überwacht werden. Dazu zählen Geistliche, Anwälte, Beratungsstellen, Abgeordnete von Bundestag und Landtagen und Journalisten. Wenn es „zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist“, soll das dem neuen Entwurf nach für Beratungsstellen und Journalisten sowie deren Mitarbeiter nicht mehr uneingeschränkt gelten.

Einrichtung einer Vertrauens- und Beschwerdestelle (§ 98)
Um Vorwürfe gegen Polizeibeamte oder polizeiliche Maßnahmen zu untersuchen, gibt es eine zentrale Vertrauens- und Beschwerdestelle – allerdings im Innenministerium, also der für die Polizei zuständigen Behörde selbst. Die Beschwerdestelle existiert schon heute. Laut Referentenentwurf soll sie nach der Novelle weder dienstrechtliche noch fachaufsichtliche Befugnisse erhalten, sondern lediglich Empfehlungen aussprechen dürfen.

Bild und Ton aus Zellen aufzeichnen (§ 25)
Dem Entwurf zufolge soll die Polizei künftig in Gewahrsamszellen Bild- und Tonaufnahmen machen dürfen.

DNA-Analyse (§ 17)
Um Tote zu identifizieren und vermisste Menschen zu finden, soll die Polizei künftig auch auf DNAAnalysen zurückgreifen können.

Gemeindlicher Vollzugsdienst /Kreisvollzugsdienst (§116)
Für den gemeindlichen Vollzugsdienst wird die Anwendung des Unmittelbaren Zwangs geregelt. Nach dem Entwurf findet der §40 mit Ausnahme des Punktes 4 (wobei der Schlagstock aus der Nichtanwendung des Punktes 4 ausgenommen wurde) Anwendung. Im §40 (3) ist folgendes zu finden: „Als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt können insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Reizstoffe und zum Sprengen von Sachen bestimmte explosive Stoffe (Sprengmittel) eingesetzt werden. Das Staatsministerium des Innern kann den Einsatz weiterer Hilfsmittel der körperlichen Gewalt zulassen.“ Damit können, so die Verordnungen dafür erlassen werden, die Gemeinden defacto eine kleine eigene Polizei aufbauen. Verbunden mit dem Recht auf Alkoholverbotszonen entsteht hier eine erhebliche Repressionsgefahr.

Die Wohnung auch außerhalb der Nachtruhe betreten (§29)
Die Polizei Sachsen darf Wohnungen im Sommer bislang nur zwischen 4 Uhr und 21 Uhr, im Winter zwischen 6 Uhr und 21 Uhr betreten. Dem neuen Entwurf zufolge soll das Betreten von Wohnungen in bestimmten Fällen künftig auch nachts erlaubt sein. Einschränkung von Grundrechten Folgende Grundrechte darf die Polizei dem neuen Entwurf zufolge einschränken:

  • Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
  • Das Grundrecht auf Freiheit und Versammlungsfreiheit
  • Das Brief‑, Post‑, Fernmeldegeheimnis sowie die Freizügigkeit die Unverletzlichkeit der Wohnung
  • und das in der Sächsischen Verfassung bestimmte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung

Sonstiges
Notrufe sollen künftig aufgezeichnet werden. Die Polizei soll eine Grundlage bekommen, um Menschen im Zeugenschutz Tarnpapiere zu geben, also eine andere Identität. 
Außerdem finden sich etliche Regelungen, die die Erhebung, Verarbeitung und Weitergabe von Daten mit dem neuen EU-Recht in Einklang bringen sollen.
Weiterhin Bestand hat die Möglichkeit, ein Alkoholverbot auszusprechen: Sowohl Ordnungsamt als auch Polizei dürfen dann für komplette öffentliche Flächen oder Wohngebiete den öffentlichen Konsum von Alkohol verbieten – oder auch schon das bloße Mitführen.

Zwei Wochen, nachdem der Entwurf für das neue sächsische Polizeigesetz geleakt und von BuzzFeed News in voller Länge veröffentlich wurde, hat nun auch das Sächsische Innenministerium den Entwurf online gestellt: https://www.polizei.sachsen.de/de/56582.htm

Wo Grundrechte bedroht sind, können wir nicht wegsehen

Diese Maßnahmen, die die Überwachungskompetenzen der Polizei stärker als jedes andere Gesetz seit 1945 ausweiten, richten sich nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche TerroristInnen, sondern können gegen alle Menschen, soziale Bewegungen, Proteste oder Streiks gerichtet werden. Die sächsische Polizei wird damit zunehmend zu einer Überwachungsbehörde – die Grenzen zum Geheimdienst verschwimmen.

Die geplanten Grundrechtseingriffe treffen uns alle als Individuen, aber sie bedrohen auch unsere Arbeit von Vereinen, Parteien, NGO´s, Verbänden etc.

Die Demokratie lebt davon, dass Menschen ihre Meinung öffentlich kundtun können, ohne deswegen Repressalien fürchten müssen. Unsere Arbeit/Proteste/Kampagnen für ein solidarisches Miteinander/Frieden/Solidarität…. wären ohne friedlichen Protest nicht möglich. Doch es steht zu befürchten, dass sich viele Menschen nicht mehr trauen, an Demonstrationen oder Protestaktionen teilzunehmen, wenn sie wissen, dass sie dabei von der Polizei überwacht werden könnten. Das gilt umso mehr, wenn man den Umstand berücksichtigt, dass die Polizei in Deutschland und Sachsen in der Vergangenheit durchaus rabiat gegen Protestbewegungen/Parteien/&anders Denkende vorgegangen ist. Wer als Bereicherung und wer als Gefahr für die Gesellschaft angesehen wird, das ist eine Frage der öffentlichen Stimmung und der politischen Mehrheiten. Rechtsstaatliche Prinzipien sollen diese Schwankungen überdauern. Dass nur überwacht und eingesperrt werden darf, wer eine konkrete Straftat begangen oder geplant hat, ist eines davon.

Umfassende Überwachungs- und Durchgriffsbefugnisse der Polizei können missbraucht werden – das zeigt nicht nur die deutsche Vergangenheit, das lehren uns leider auch zahlreiche aktuelle Beispiele aus weniger demokratischen Ländern.

Gerade in Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus wird deutlich, dass wir auch im Jahr 2018 in Deutschland und Europa keineswegs selbstverständlich davon ausgehen können, dass dieses Machtmittel immer in demokratischen und verantwortungsbewussten Händen liegen wird. Auch deshalb lehnen wir die geplante Neufassung des Polizeiaufgabengesetzes entschieden ab.