Bild Welttag der Menschen mit Behinderungen

Kein weiteres »Alle Jahre wieder« in der Behindertenpolitik!

Zum Welttag der Menschen mit Behinderungen erklären die Landesinklusionsbeauftragten DIE LINKE Sachsen, Ann-Kathrin Legath und Birger Höhn:

Irgendwie kommt uns das Weihnachtslied »Alle Jahre wieder…« in den Sinn:

Alle Jahre wieder wird am 03.12. weltweit an die Situation von Menschen mit Behinderungen erinnert, ohne daß sich irgendetwas – und wenn dann oft nur kleine Trippelschritte – für behinderte Menschen verbessert hat. Da sind bzw. wären so unendlich viele Bereiche zu nennen:

Zum Beispiel die Bildung- und Arbeitsmarkt die oft sehr eng miteinander zusammenhängen, und wo es sehr viel Diskriminierungen und Selektierungen nach wie vor gibt. Jedes Jahr wird dies mehrfach beklagt, oft auch zum Welttag von Menschen mit Behinderungen. Geändert hat sich wenig. Oder nehmen wir die vielen und zahlreichen Barrieren, mit denen behinderte – sowohl mit sichtbaren oder unsichtbaren Behinderungen nach wie vor konfrontriert sind: Zum Beispiel Öffentliche Verkehrsmittel, Wohnungen, Freizeiteinrichtungen oder das Gesundheitswesen, wenn Arztpraxen und Apotheken nicht barrierefrei sind. Oder öffentliche Gebäude bzw. Abgeordneten- oder Parteibüros, die nicht barrierefrei sind, Veranstaltungen bei denen um den Einsatz von Gebärdendolmetschern oder ähnliches diskutiert werden muß usw.

Hinzu kommt ein häufig unwürdiger Kampf behinderter Menschen, wenn es um die Gewährung von Nachteilsausgleichen oder Assistenzen geht.

Corona – und hier besonders die aktuell zugespitzte Lage in Sachsen – hat diese Zustände drastisch verschärft und um die Themen »Triage« und »Maskenpflicht« »erweitert«. Das hat dazu geführt, daß die Maskenpflicht in der Behindertenbewegung selbst zum Teil kontrovers diskutiert wurde. Behinderte Menschen mit Vorerkrankungen, müssen teilweise trotz ärztlichem Attest einen wahren Spießrutenlauf hinter sich bringen, oder werden von Einrichtungen abgewiesen, weil es eine vielzahl von nicht betroffenen Menschen gibt, die, weil sie keine Maske tragen wollen, auf diesen Zug rauf setzen, und so gesehen das ganze mißbrauchen und konterkarieren.

Stattdessen gibt es eine Zunahme von gesellschaftlichem Ableismus, wie sie seit den 1930er Jahren beispiellos ist. Als Beispiel seien hier die Freiheitsentzüge behinderter Menschen in vermeintlichen Behinderteneinrichtungen in NRW im Januar und ganz besonders die Potsdamer Behindertenmorde Ende April diesen Jahres genannt.

Dieser Ableismus macht auch vor unseren eigenen Parteigrenzen nicht halt und ist leider ein echtes Thema, mit dem sich DIE LINKE beginnen muß, auseinanderzusetzen.

Wir sind einerseits sehr traurig und auch fassungslos über diese Entwicklung. Aber wir sehen glücklicherweise auch Entwicklungen, die dem entgegenwirken. Dazu gehören immer mehr behinderte und nichtbehinderte engagierte Menschen im linken Spektrum, die gerade von linker Behindertenpolitik eine deutlichere dementsprechende Positionierung usw. verlangen und erwarten. Diese Menschen haben sich bewußt unter dem Titel »Rebellion der Ballastexistenzen« zusammengeschlossen. »Ballastexistenzen«, so wurden behinderte Menschen im Nationalsozialismus genannt, die Opfer der NS-»Euthanasie« wurden, unter anderem in Pirna Sonnenstein mit fast 15.000 Toten.

Ja, es braucht eine »Rebellion« bzw. einen Aufbruch in eine neue linke Behindertenpolitik. Diese muß zu allererst zu mehr und aktiveren Selbstbestimmung behinderter Menschen gesellschaftlich und auch innerparteilich führen. Gerade bei diesem »Aufbruch« linker Behindertenpolitik muß einerseits um mehr und konsequente Mit- und Selbstbestimmung behinderter Menschen gehen genauso wie gerade – als linke – um Kapitalismuskritik. Das läßt sich an kaum einem anderen politischen Thema so sehr verdeutlichen, wie beim Thema Behindertenwerkstätten. Es geht dabei um eine Fair Änderung dieses Systems  und nicht um dessen Abschaffung.

Dabei ist uns bewußt, daß hier jegliche inklusivere Veränderung natürlich sehr eng mit den jeweiligen behinderten Menschen sensibel und behutsam thematisiert werden muß, da viele gerade in diesem Umfeld ihr Freundes- und Bekanntenkreis gefunden und diesen selbstverständlich auch weitgehend erhalten können sollen.

Also laßt es uns gemeinsam – innerhalb und außerhalb der LINKEN anpacken und für eine dementsprechend konsequente Behindertenpolitik jeden Tag einstehen. Sonst »singen« wir thematisch in der Behindertenpolitik auch im nächsten Jahr am 03.12. wieder »Alle Jahre wieder«. Und so schön dieses Weihnachtslied ist, im Bereich der Behindertenpolitik möchten wir es nicht mehr »singen«.

Ann-Kathrin Legath                                               Birger Höhn
Landesinklusionsbeauftragte DIE LINKE Sachsen