Vom kräftigen Rot zum bleichen Rosé

Schrilles Sofortprogramm der Regierungslinken hakt sich devot bei SPD und Grünen unter

Im politischen Karneval des Wahlkampfes 2021 gibt es ein neues Kapitel: die Führung der LINKEN will partout mitregieren und sagt auch, was sie alles will. Ohne vorherige Diskussion oder gar Beschlussfassung dieser Initiative im Parteivorstand schafft die Regierungslinke vollendete Tatsachen. Gestern stellten die Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch und Janine Wissler ihr „Sofortprogramm für einen Politikwechsel“ vor. Die im April 2020 von Katja Kipping, Bernd Riexinger, Jörg Schindler und Harald Wolf angekündigte „offensiv(e“) Vertretung des „Ziel(s) eines Politik- und Regierungswechsels“ durch die Partei bei den „künftigen Bundestagswahlen“ hat sich damit durchgesetzt. Es geht dabei offensichtlich um sehr Verschiedenes: um einen Paradigmawechsel in der Politik der Linkspartei sowie um Spielmaterial, mit dem SPD und Grüne die FDP unter Druck setzen können. Und sicherlich ist das Ganze auch ein Versuch, mit einer Gespensterdebatte nach der Wahl eine ernsthafte Analyse über die mutmaßlichen Stimmenverluste am 26. September abzublocken.

Natürlich ist es richtig, das breite Spektrum der sozialer Nöte und der Notwendigkeit ihrer energischen Überwindung aufzunehmen. In dieser Hinsicht ist das „Sofortprogram“ sachlich und eingängig. Es ist aber ein Unding, die außenpolitischen Positionen in das letzte Drittel des Papiers zu verbannen. Wie überwältigend muss der Wunsch zur Anbiederung sein, um das Markenzeichen der LINKEN, Friedenspartei zu sein, im Irgendwo des Forderungssammelsuriums zu verstecken? Und der Verzicht auf den Schlüsselbegriff NATO – wahrscheinlich, um der öden stereotypen Aufforderung zum »Bekenntnis« auszuweichen – setzt dem Ganzen eine hässliche Krone auf. In einer globalen Situation, da sich die USA auf einen hochgefährlichen politischen und militärischen Kollisionskurs gegen die Volksrepublik China und Russland begeben hat, will man sich augenscheinlich irgendwie mit der NATO aussöhnen und fällt damit als kämpferische Friedenspartei aus.

Dass die Träger eines derart unterwürfigen Traktats am Ende von niemandem ernst genommen werden und damit indirekt und hintenrum der marktradikalen FDP mit ihren angebeteten »Marktkräften« den Weg in die ersehnte Dreier-Koalition bahnen, dürfte strategisch begabten Zeitgenossen bewusst sein. Am Wochenende haben Spitzen-Liberale medial ja schon gestreut, dass gefälligst ein bisschen Gift aus dem politischen Grün getilgt werden sollte – dann kommt die Ampel schon zum Blinken. Wie bedeppert die Autoren eines vorgeblich linken »Sofortprogramms«, wie es jetzt handstreichartig präsentiert wurde, dann dastehen werden, sollte eigentlich klar sein.

Das »Sofortprogramm« entkernt DIE LINKE an zentralen Stellen und in ihrer prinzipiellen Position innerhalb der deutschen Parteienlandschaft und weicht sie in Regierungs-Beliebigkeit mit einem pragmatischen Politikverständnis des »Auf-Sicht-Fahrens« auf.

Diese verhängnisvolle Hinwendung der Linkspartei zur Regierungspartei auch im Bund zeichnete sich seit geraumer Zeit ab: sowohl als Ziel als auch als Abkehr von ihren bisherigen politischen Alleinstellungsmerkmalen und strategischen Vorstellungen. Bereits Ende 2016 vor dem Bundestagswahlkampf 2017 wurde im Parteivorstand ein „offensiver“ Wahlkampf für „R2G“ verlangt. Der Parteivorstand lehnte damals mit großer Mehrheit ab. Im Oktober 2019 begann eine Strategiedebatte, die offenbar ebenfalls dieses Ziel hatte. Weder die Mehrheit der 234 Positionspapiere noch die Strategiekonferenz im Februar 2020 sanktionierte jedoch diesen Richtungswechsel. Im Parteivorstand fand er kaum Unterstützung. Dennoch konnte durch fortwährende Zustimmungen führender Politiker für „R2G“ vor allem in Interviews erreicht werden, dass diese Sicht sich in der Partei immer mehr durchsetzte.

Zugleich erlahmte seit einigen Jahren die Kritik der Partei an den politischen Zuständen. Von Kapitalherrschaft ist nicht mehr die Rede. Man macht mit bei der Deutung der politischen Verhältnisse als Demokratie und dem Fabulieren über ein „linkes Lager“ im Parteiensystem, das bei gegebener parlamentarischer Mehrheit einen politischen Richtungswechsel herbeiführen wird. Wunschdenken tritt an die Stelle einer Analyse der Machtverhältnisse, die allmähliche Einordnung in das gegebene Herrschaftssystem an die Stelle der vorher propagierten Gegenmachtstrategie.

Die Hinwendung zum Regieren im Bundestagswahlkampf markiert den Wechsel hin zu einer anderen politischen Daseinsweise der Partei, zu einer zweiten sozialdemokratischen Partei. Die LINKE verabschiedet sich von ihrem in Erfurter Programm formulierten strategischen Ziel der Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse als Weg für soziale und politische Verbesserungen. Mitregieren wird zur Integrationsfalle. Rote Haltelinien werden nicht wirklich gezogen. Die LINKE wird eine Partei der Regierenden. Sie unterwirft sich den Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Machtausübung.

Zum Schluss: Wer seine Selbstachtung verliert, wird auch von den politischen Wettbewerbern nicht länger ernst genommen – und erzeugt Resignation und Frust bei den ehrlichen Mitstreitern. Soll sich DIE LINKE auf diese schräge Tour etwa dem selbst verkündeten Zehn-Prozent-Ziel für den Wahlausgang am 26. September nähern? Es wäre ein epochaler Trugschluss. Wer keine originäre Verhandlungsmasse aufzubringen und zu verteidigen bereit ist, droht sogar an fünf Prozent zu scheitern. Aus den dramatischen Fehlern von 2002 wurde offensichtlich nichts gelernt.

Volker Külow, Ekkehard Lieberam

Mitglieder im Liebknecht-Kreis Sachsen (LKS)