November 2021: Halbzeitbilanz der Ombudsperson

Aus der Rede der Ombudsperson auf der 1. Tagung des 16. Landesparteitags

Liebe Genossinnen und Genossen,

anstelle des Berichts, der im Antragsheft nachzulesen ist, eine Halbzeitbilanz ziehen. Die zwei wesentlichsten Erfahrungen möchte ich dabei in den Mittelpunkt stellen, die nicht neu sind, aber die sich bei meiner Arbeit als Ombudsperson leider erhärtet haben.

Die erste Erfahrung – Tragfähiger Frieden braucht gemeinsame Lösungen der Konfliktparteien!

Ich möchte dazu mit einer Frage an Euch beginnen: Was glaubt ihr, wie oft das Wort „Ombud“ in den Satzungen der Länder und des Bundespartei gefunden habe? Das Ergebnis ist überraschend, es kommt nur unseren Landesverband vor.

Überraschend ist das Ergebnis deshalb, weil wir uns als Friedenspartei, also als eine Partei verstehen, die anstelle von militärischen Lösungen bei Konflikten den besseren und nachhaltigeren Weg darin sieht, dass die betroffenen Parteien selbst eine gemeinsame Lösung finden. Genau das ist auch das Wesen von Ombudsarbeit.

Es gibt nicht wenige Menschen, die eine militärische Lösung in manchen Fällen für notwendig halten und uns wegen deren Ablehnung kritisieren, manchmal sogar als hoffnungslose Pazifisten belächeln. Es ist an uns, den Beweis zu erbringen, dass es durchaus möglich ist, dass die Konfliktparteien eine gemeinsame Lösung finden. Das ist die Aufgabe, die wir im innerparteilichen Leben haben.

Sind wir uns dieser Verantwortung immer bewusst? Jeder sollte sich selbst fragen, ob er in Konfliktsituationen bereit ist, sich mit der anderen Konfliktpartei an einen Tisch zu setzen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Oft höre ich, dass man mit den anderen nicht reden kann, dass es keinen Zweck hat, dass die anderen die Verantwortung für den Konflikt tragen. Als Ombudsperson ist es meine Aufgabe, die Konfliktparteien zu einer gemeinsamen Lösung zu befähigen. Dazu müssen diese aber auch mitarbeiten.

Als ehemaliger Steuermann kommt mir da folgender Vergleich in den Sinn: Nur wenn die Ruderer rudern, kann der Steuermann auch lenken. Es nutzt auch nichts, wenn nur eine Seite rudert, dann dreht sich das Boot im Kreis. Besonders grotesk wird es, wenn die nicht im Boot sitzenden Ruderer sich darüber lustig machen, dass es nicht vorwärts geht. Sicher hinkt dieser Vergleich. Ich bin kein Steuermann, sondern die Ombudsperson. Der Unterschied ist: Die Ruderer wussten, dass sie nur als Mannschaft erfolgreich sein können. Mein Fazit: Jeder von uns muss bereit sein, eine gemeinsame Lösung für Konflikte zu finden, sonst verspielen wir unsere politische Glaubwürdigkeit als Friedenspartei.

Die zweite Erfahrung: Pluralismus braucht Dialogfähigkeit.

Wir wollen eine pluralistische Gesellschaft. Gegenwärtig erleben wir eine Abwärtsspirale im Niveau der Auseinandersetzung in der Gesellschaft, die sich in zunehmender Verrohung der Sprache und in zunehmender Gewalt in der Auseinandersetzung äußert. Hier ist es unsere Aufgaben, Pluralismus zu leben. Es geht auch hier um unsere politische Glaubwürdigkeit.

Wie sieht das gegenwärtig in der Partei aus?

Dazu meine Beobachtung an einem sehr grundsätzlichen Beispiel: Unsere Partei besteht aus Genoss*innen, die noch vor der Wende politisiert wurden und auch andere Genoss*innen, bei denen dieses erst nach der Wende erfolgte. Aus diesen unterschiedlichen Situationen der eigenen Politisierung lassen sich auch Unterschiede in der Auffassung von politischer Arbeit, unterschiedliche Einschätzungen der politischen Situation und auch unterschiedliche Beurteilungen von internationalen Konflikten erklären.

Als Beispiele möchte ich hier die Differenzen in der Beurteilung von Russland, die Wichtigkeit der Solidarität mit Kuba und die Beurteilung des Konflikts zwischen Palästina und Israel nennen. Dass es diese Unterschiede gibt, ist normal und nicht das eigentliche Problem. Das Problem ist, wie wir damit umgehen. Oft werden Unterschiede nicht ausreichend diskutiert oder so lange ignoriert, bis sie sich, meist zur unpassenden Zeit, entladen. Ich denke hier an die Reaktion von einigen Mitgliedern der Linksjugend im November 2019 auf den Parteitagsbeschluss „Frieden mit Russland, in Europa und in der Welt“. Aus meiner Sicht war das der Ausdruck für die bis dahin in der Partei unzureichend geführte Debatte. Anstelle dessen werden die Debatten öffentlich in den Medien geführt. Das ist keine Debattenkultur.

Wie sollten wir die notwendigen Debatten führen?

Thematisch gleichgesinnte Genoss*innen und Sympathisant*innen organisieren sich, erarbeiten Positionen verbreiten diese innerhalb der Partei. Das auch gut und wichtig, aber nicht ausreichend, um tatsächlichen Pluralismus zu leben. Dazu brauchen wir den Dialog innerhalb der gesamten Partei.  Dieser muss aber anders verlaufen, als ihn Peter Ensikat in seinem Buch „Hat es die DDR überhaupt gegeben?“ beschrieben hat. Zitat „Beide Lager reden zwar noch miteinander, selbstverständlich ohne einander zuzuhören. Es ist ein deutscher Dialog, und der besteht nun mal aus Rede und Gegenrede. Von Zuhören kann dabei gar keine Rede sein“. Zitat Ende.

Wir brauchen bei dem innerparteilichen Dialog ehrliches Bemühen, die Gründe für die anderen Auffassungen kennenzulernen. Dazu sind offene Debatten ohne Vorurteile und vor Allem fair und auf Augenhöhe geführt, notwendig. Wenn die Gründe für die unterschiedlichen Auffassungen in der Debatte herausgearbeitet wurden, ist es m.E.: eine Aufgabe der politischen Bildung in der Partei, diese zu hinterfragen und sich theoretisch damit zu beschäftigen. Das Organisieren dieser Debatten ist eine Aufgabe für unsere Vorstände, aber wir alle müssen uns auch daran beteiligen. So können wir ein Beispiel für das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft und politisch glaubwürdig sein. Lasst uns miteinander reden und einander zuhören.